Kritiker der Energiewende weisen besonders gern auf die versorgungssichernde Funktion konventioneller Kraftwerke, wie beispielsweise Braun- oder Steinkohlekraftwerke, hin. Die Diskussion über sogenannte Kapazitätsmärkte, im weiteren Sinne handelt es sich hierbei um Back-Ups für mögliche Schwankungen der erneuerbaren Energieversorgung, heizt die Debatte noch zusätzlich an.
Eine aktuelle Studie im Auftrag der Umweltschutzorganisation Greenpeace kommt nun allerdings zu einem sehr überraschenden Ergebnis, zumindest für die Befürworter der Kohlekraft. Die Studie hat mittels einer Simulation des Strommarktes ermittelt, dass etwa die Hälfte aller deutschen Braunkohlekraftwerke sofort abgeschaltet werden könnten ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Auch der Strompreis würde dadurch nur leicht beeinflusst.
Laufende Braunkohlekraftwerke direkt in strategische Reserven umwandeln
Die Studie, welche durch Energy Brainpool im Auftrag von Greenpeace erarbeitet wurde, hat den aktuellen Strommarkt unter der Annahme simuliert, dass sofort 36 alte Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 15 Gigawatt abgeschaltet werden. Laut der Studie würde dies die Versorgungssicherheit nicht gefährden, da in Deutschland momentan weit mehr Strom zur Verfügung steht als auch wirklich verbraucht wird. Mögliche Engpässe könnten gemäß der Studien durch Importe aus europäischen Nachbarstaaten ausgeglichen werden. Momentan ist es nämlich eher Deutschland, welches Strom exportiert.
Durch teils enorme Stromüberschüsse zahlt die Bundesrepublik für den exportierten Strom manchmal sogar drauf. Für den Ottonormalverbraucher ein kaum nachvollziehbarer Mechanismus. Negativpreise sind allerdings gerade in der europäischen Energiewirtschaft durchaus üblich. Energy Barinpool schlägt daher vor, die Überkapazitäten an schmutzigen Braunkohlekraftwerken direkt in sogenannte strategische Reserven umzuwandeln. Dabei handelt es sich um die bereits genannten Back-Up Kapazitäten, die nur bei Versorgungsengpässen eingesetzt werden.
Energieriesen stehen den strategischen Reserven kritisch gegenüber
Für die Betreiber von konventionellen Kraftwerken, deren Anlagen zu Reserven degradiert werden sollen, werden derartige Vorschläge immer wieder vehement kritisiert. Ohne einen regelmäßigen Betrieb rechnen sich viele Kohlekraftwerke beispielsweise nicht, so die Argumentation. Einige Politiker, aber auch Energieexperten weisen hier meist darauf hin, dass gerade ältere und bereits abgeschriebene Kraftwerke nur noch so hohe Kosten verursachen, dass diese auch durch einen Teilbetrieb gedeckt werden können.
Viele halten dies allerdings für eine Milchmädchenrechnung und fordern die Schaffung sogenannter Kapazitätsmärkte, die dafür sorgen, dass die Kraftwerke auch in Ruhezeiten finanziert werden. Einfach ausgedrückt, erhält der Kraftwerksbetreiber Geld dafür, dass er die Reserven bereit hält und damit die Versorgungssicherheit gewährleistet. Aktuell ist allerdings noch nicht völlig geklärt, wie solch ein Markt finanziert werden soll.
Nur geringe Reserven notwendig
Die Greenpeace Studie weist allerdings auch darauf hin, dass strategische Reserven nur selten wirklich notwendig wären, sodass ein Großteil der Kohlemeiler wohl ohnehin vollständig vom Netz gehen müsste. Geht es nach der Bundesregierung, so soll sogar nach dem endgültigen Atomausstieg eine strategische Reserve von 24 Gigawattstunden ausreichen. Das heißt von den angesprochenen 15 Gigawatt an Kohlekraft werden nur vier für die strategische Reserve gebraucht und das lediglich für sechs Stunden im Jahr.
Zweifelsfrei ergibt sich hier ein großer Vorteil. Es würden enorme Mengen an Kohlenstoffdioxid eingespart werden, da insbesondere die alten Kraftwerke große Mengen des klimaschädlichen Gases produzieren. Würde man die abrupte Abschaltung der alten Kohlekraftwerke wirklich umsetzen, müssten die Verbraucher allerdings ein wenig draufzahlen. Laut der Kalkulation von Energy Brainpool würde der Strompreis um durchschnittlich 0,6 Cent pro Kilowattstunde steigen.
Verbraucherschützer sehen möglichen Preisanstieg sehr kritisch
In der Studie selbst stellt man dem Preisanstieg das Wort „lediglich“ zuvor. Aus Sicht der Energieexperten möge das stimmen, allerdings vermuten Verbraucherschützer das gerade einkommensschwächere Haushalte nicht bereit wären nach EEG-Umlage und Netzentgelt noch eine weitere politisch herbeigeführte Strompreissteigerung zu dulden. Einer nicht repräsentativen Umfrage auf SPIEGEL ONLINE zu Folge, wären allerdings mehr als zwei Drittel der über 20.000 Umfrageteilnehmer bereit den höheren Strompreis zu zahlen.
Auch die Bundesregierung sucht nach neuen Lösungen für den Umgang mit alten Kohlekraftwerken
Politisch ist man sich schon seit einiger Zeit darüber, dass noch eine Menge Kohlenstoffdioxid eingespart werden muss, will man die eigens gesteckten Klimaziele bis 2020 noch erreichen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) versucht es radikal und wollte eine CO2-Strafsteuer auf die älteren Kohlemeiler verhängen. Der Plan wurde allerdings vorerst fallen gelassen, da es massiven Widerstand von Seiten der großen Energieversorger und der Kohlelobby gab. Die Idee der Kapazitätsmechanismen wird laut Insiderinformationen aktuell geprüft.
Dass man politisch umdenkt, zeigt sich nicht nur im bundespolitischen Kontext sondern auch auf Kommunalebene immer deutlicher. In München hat man beispielsweise bereits 2008 rund drei Milliarden Euro für den Ausbau der regenerativen Energieträger aus dem städtischen Haushalt zur Verfügung gestellt. Bis 2025 sollen noch weitere sechs Milliarden Euro folgen.
Irritation über den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken
Das Geld wird vor allem für Erneuerbare-Energien-Projekt der Stadtwerke München (SWM) verwendet. Diese investieren seitdem fleißig in Windparks, Photovoltaik oder Bioenergie. Insbesondere Offshore-Windparks stehen im Portfolio weit oben. Einige Münchener sind deshalb auch verwundert, weswegen die SWM bundesweit investieren, sich die Stadt München aber weiterhin mit einem großen Kohlekraftwerk versorgt. „Die SWM betreiben zwar Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen im In- und Ausland, aber dabei handelt es sich um reine Finanzanlagen“, meint beispielsweise die Münchner Stadträtin Sonja Haider.
Es ist nicht abzustreiten, dass München selbst kaum mittels der Anlagen in die die Stadtwerke investiert haben versorgt wird. Bei Unterföhring sorgt dafür nämlich ein großes Steinkohlekraftwerk. CSU, SPD und die Münchner Stadtwerke haben sich darauf geeignet den Meiler auch weiterhin zu betreiben. Argumentiert wird mit der Versorgungssicherheit und den zu hohen Abschaltkosten. So spannt sich wieder der Bogen zur bundespolitischen Perspektive bezüglich der Abschaltung von Kohlekraftwerken. Die Argumente sind nämlich beinahe dieselben, nur die Dimensionen sind unterschiedlich. Politisch sollte man daher handeln, Kapazitätsmärkte wären sicherlich nicht die schlechteste Option.